08. November 2023
Schlafen sie schlecht? Dann sind Sie in guter Gesellschaft. Denn Schlafstörung (Insomnie) ist mit ca. sechs Prozent behandlungsbedürftiger Fälle in Deutschland eine Volkskrankheit. Allerdings sind Schlafstörungen nicht prinzipiell eigenständige Erkrankungen. Sie sind auch nicht immer ein sicherer Hinweis auf eine zugrunde liegende psychische Störung oder pathologische Gehirnaktivität. Aber sie beeinträchtigen unsere Lebensqualität und wir sollten sie als Warnsignal unseres Körpers ernst nehmen.
Ein wichtiger Mechanismus bei der Entstehung der sogenannten primären Schlafstörungen – das sind Schlafstörungen, die nicht durch andere körperliche Erkrankungen hervorgerufen werden – ist eine chronische Stressaktivierung. Die Aktivierung des Stresssystems stellt eine wichtige Voraussetzung für die Bewältigung unseres Alltagslebens und das Erreichen unserer Ziele dar. Nach dem Aufwachen schießt die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut in die Höhe – und das ist ein Zeichen für Gesundheit des Organismus. Über den Tag sinkt der Cortisolspiegel zum Abend hin langsam wieder ab. Der Körper fährt wieder runter. Dieser gesunde Rhythmus von Aktivierung und Deaktivierung funktioniert automatisch und ohne bewusste Steuerung.
Eine Reihe von Stressoren (wie „Druck“ oder Ärger auf der Arbeit, in der Familie, in der Partnerschaft, allgemeine Zukunftsängste durch Klimawandel und Kriege) können jedoch dazu führen, dass unser Biorhythmus gestört ist und der Körper abends nicht oder unzureichend runterfährt: Der Cortisolspiegel bleibt erhöht, es kommt zu einer dauerhaften Aktivierung des Wachsystems. Evolutionsbiologisch gesprochen, befindet sich der Organismus jetzt in der Verhaltensdisposition von Flucht oder Angriff. Stellte dieser sensitive Fluchtmechanismus für unsere Urahnen einen wichtigen Überlebensvorteil dar, ist er für die erfolgreiche Bewältigung heutiger Stressoren in der Regel kontraproduktiv und macht uns krank.
Neben den genannten Stressoren können externe Störungen des Nachtschlafes auch die Entstehung einer Schafstörung begünstigen (Säuglingspflege, Versorgung kleiner Kinder oder pflegebedürftiger Familienmitglieder, schnarchende:r Lebenspartner:in).
Besonders zu erwähnen ist das Schichtarbeitersyndrom.Es wird durchArbeit zu wechselnden Tageszeiten (Früh-, Spät- und Nachtschicht) oder zu konstant ungewöhnlichen Zeiten (Dauernachtschicht) hervorgerufen. Charakteristisch für das Schichtarbeiter-Syndrom sind:
Wichtig ist, die auslösenden Stressoren identifizieren und nach Möglichkeit zu reduzieren. Drei Aspekte seinen hier herausgegriffen:
1. Probleme von der Arbeit nicht mit nach Hause nehmen!
Empathie ist eine Gottesgabe und ermöglicht sinnstiftende Tätigkeiten beispielsweise mit hilfsbedürftigen Patient:innen, Bewohner:innen, Klient:innen. Aber: schlecht abschalten können, Probleme der uns anvertrauten Menschen mit nach Hause nehmen, emotionales „Überengagement“ macht uns selbst krank und ist unter dem Strich kontraproduktiv. Denn Untersuchungen zeigen, dass ein ausgeglichenes Verhältnis von Empathie und Distanz für eine dauerhaft erfolgreiche und gesunde Tätigkeit in sozialen Kontexten notwendig ist.
2. Positive Aktivitäten in der Freizeit nicht aufgeben!
Gestörter Schlaf und Stress im Alltag machen uns müde und schlapp. Viele reagieren entsprechend mit einer Reduktion von Freizeitaktivitäten (Sport, Unternehmungen, Nutzen kultureller Angebote). Diese Schonhaltung ist ungesund. Das Aufgeben von eigentlich gerne durchgeführten Aktivitäten führt leider oft
dazu, dass das Stressniveau aufrechterhalten wird oder sogar noch weiter steigt.
Gesunde Abgrenzung, Selbstfürsorge und Aufrechterhaltung positiver Freizeitaktivitäten sind wichtig zur Wiedererlangung und Aufrechterhaltung eines gesunden Schlafes und damit auch der eigenen Gesundheit – gerade für Menschen, die für andere da sein wollen und müssen. Frei nach dem Motto: „Bewahrt euch vor allem für euch selbst, dann bleibt auch noch viel für andere übrig“ (Leo Tolstoi).
3. Teufelskreise und Fallstricke im Umgang mit gestörtem Schlaf
Schlaf tritt ein, wenn wir entspannen und das Aktivierungssystem herunterfährt. Darum lässt sich Schaf nicht erzwingen. Wer versucht, sich zum Einschlafen zu zwingen, bleibt gerade durch diese Anstrengung wach. Mit zunehmender Dauer der Schlafprobleme treten die ursprünglichen Stressoren in den Hintergrund und die Schlafstörung selbst wird zum Hauptstressor.
Die Etablierung einer individuellen Schlafhygiene:
Man betreibt Hygiene, um nicht krank zu werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Schlaf: Schlafhygiene soll verhindern, dass wir eine krankheitswertige Schlafstörung entwickeln. Ziel der hier vorgestellten Interventionsmöglichkeiten ist weniger in der Optimierung des Nachtschlafs, sondern vielmehr in der Reduktion des (nächtlichen) Stresserlebens zu sehen. Denn dies ist der eigentliche Schlüssel zum gesunden Schlaf.
Etabliere ein Einschlafritual
Rituale helfen uns innere Zustände zu begünstigen, die mit spezifischen Verhaltens- und Erlebensweisen verknüpft sind. Kaum haben wir unseren Kindern im Bett ein paar Sätze der »Gute-Nacht-Geschichte« vorgelesen, schlafen die Kinder (wir Eltern oft auch, wie der Verfasser aus eigener Erfahrung berichten kann). Das Ritual – Vorlesen in der Bettsituation – versetzt die Kinder automatisch in einen inneren Zustand, der mit Schlaf assoziiert ist: Das Aktivierungssystem fährt herab, der Schlaf tritt ein. Viele Erwachsene erhalten sich dieses Ritual, indem sie im Bett lesen, dann jedoch rasch einschlafen.
Beim Schlafgestörten kann das Verhalten hingegen problematisch sein: Viele versuchen, diese Technik im Bett einzusetzen, um zu schlafen. Da sie nun müde werden wollen und dabei akribisch ihre Schläfrigkeitsentwicklung beobachten, tritt der bekannte anspannungsverstärkende paradoxe Effekt auf und sie bleiben wach. Aus diesem Grund sollten bei der Etablierung neuer Rituale Tätigkeiten gefunden werden, die in erster Linie außerhalb des Bettes durchgeführt werden können. Auch Entspannungs- oder Achtsamkeitsübungen sind geeignete Kandidaten für Einschlafrituale.
Weitere Aspekte der Schlafhygiene:
Cave: Schlafmittel bitte nur im Notfall und nur für kurze Zeit!
Zwischen ein und zwei Millionen Menschen mit chronischen Schlafstörungen in Deutschland können nicht mehr ohne Schlafmittel schlafen. Schlafmittel stellen keine kausale Therapie dar, wirken vielmehr symptomatisch und können zur Chronifizierung von Schlafstörungen beitragen. Rezeptpflichtige Schlafmittel bitte nur für kurze Zeit und nach fachärztlicher Beratung einsetzen! Hier besteht Suchtpotential!
Schlafstörung: Wann wird es brenzlig?
Psychische Erkrankungen, insbesondere Angststörungen und affektive Erkrankungen, vor allem Depressionen zählen zu den häufigsten Ursachen von Schlafstörungen (etwa 50 Prozent der Fälle). Aber auch bei anderen psychischen Störungen treten Schlafstörungen häufig auf (Posttraumatische Belastungsstörung, Demenz, Schizophrenie, Fatigue Syndrom, Fibromyalgie). Bei hartnäckigen und durch oben genannte Maßnahmen nicht modifizierbaren Schlafstörungen bitte den Hausarzt, am besten auch den Facharzt, aufsuchen. Dann können die Behandlung optimiert, andere Erkrankungen ausgeschlossen, beziehungsweise erkannt und behandelt werden.
Wann sollte eine stationäre Diagnostik im Schlaflabor erfolgen?
Bei Therapieresistenz oder vor allem Schlaf-Apnoe-Syndrom ist eine Polysomnographie oder diagnostische Abklärung in einem Schlaflabor sinnvoll.
Der Artikel ist im AGAPLESION Magazin erschienen.